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Säugetiere und so auch der Mensch erwerben ihre Mikroorganismen in einer Mischstrategie.
Ein Teil stammt aus der Umwelt, vor allem von den nächsten Familienangehörigen, zu denen bei Menschen u.a. auch Katzen, Hunde und andere Haustiere gehören, der andere und wichtigste Anteil jedoch von der Mutter.
Nach neuesten Forschungen gilt das seit über 100 Jahren bestehende Dogma, dass Kinder und alle anderen Säugetierbabys im Bauch der Mutter in einer sterilen Umgebung heranwachsen und ihren ersten Kontakt mit Körperbakterien während der Passage durch den Geburtskanal haben, nicht mehr.
Studien der letzten Jahre haben Wissenschaftler zum Umdenken veranlasst. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Beimpfung mit wohltätigen Mikroorganismen bereits vor der Geburt stattfindet.
Lange Zeit wurde die Forschungsenergie überwiegend darauf verwendet, nach Erregern zu suchen, die für Infektionen in der Gebärmutter verantwortlich sind und damit eine große Gefahr für das Ungeborene darstellen können. Es wurde vernachlässigt, sich intensiver mit den Verhältnissen bei problemlos ablaufenden Schwangerschaften und Geburten zu beschäftigen.
Inzwischen haben mehrere Studien nachgewiesen, dass in der steril geltenden Umgebung des Uterus von gesunden Müttern Mikroorganismen vorhanden sind. Und zwar im Blut der Nabelschnur, in Membranen des Fötus, im Fruchtwasser und im sogenannten „Kindspech“, einer Darmausscheidung von Neugeborenen.
Im Kindspech fanden sich vor allem Mikroorganismen, wie man sie in ähnlicher Zusammensetzung bei mehrere Monate alten Kleinkindern findet.
Und dies, obwohl die Proben unmittelbar nach der Geburt entnommen wurden und die Babys noch keine Muttermilch getrunken hatten.
Der Frage, wie Bakterien der Mutter in den Fötus gelangen können, näherten sich spanische Forscher mit einem Trick.
Sie isolierten Mikroorganismen der Gattung Enterococcus aus der Milch gesunder Mütter und markierten sie mit einer spezifischen DNA-Sequenz um sie später wieder identifizieren zu können.
Dann verfütterten sie die präparierten Mikroorganismen in Milch an schwangere Mäusemütter.
Deren Babys wurden unter sterilen Bedingungen per Kaiserschnitt entbunden.
Unmittelbar danach wurde ihnen eine Probe aus dem Darm entnommen und auf Kulturmedien übertragen.
Die Forscher konnten so nachweisen, dass Mikroorganismen aus dem Darm der Mutter über die Plazentaschranke, die das Blut der Mutter vom Kind trennt, in das Verdauungsorgan ihrer ungeborenen Feten eindringen konnten.
Es stellte sich die Frage, wie Mikroorganismen, für die das einschichtige Epithel des Darminnenraumes nahezu undurchdringlich ist, es schaffen, in den Darm des Ungeborenen zu gelangen.
Eine wahrscheinliche Antwort darauf fanden Mailänder Wissenschaftler:
Es sind nicht die Bakterien, die sich durch die Darmwand bohren, sondern spezielle Zellen des Wirtes, die die Verbindung zwischen den Epithelzellen lösen und wieder verschließen können, um im Darmlumen aktiv nach Mikroorganismen zu fischen, um sie sich einzuverleiben.
Diese Zellen, die beweglich sind und durch ihre Fortsätze ein sternförmiges Aussehen haben, wurden erstmals von Ralph Steinmann, einem gebürtigen Kanadier entdeckt, wofür er 2011 den Nobelpreis für Medizin erhielt.
Dendritische Zellen finden sich in allen Schleimhäuten und Oberflächengeweben des Körpers, also überall, wo Gefahr durch gefährliche Mikroorganismen droht.
Sie haben eine herausragende Bedeutung für den Organismus, weil sie die spezifische Immunabwehr mobilisieren können und gleichzeitig helfen, Autoimmunreaktionen zu unterdrücken.
Seit Maria Rescigno und ihre Kollegen aus Mailand den dendritischen Zellen beim Fischen von Mikroorganismen zusahen, gelten diese als die Einzigen, die zu einem Transfer von Darmbakterien innerhalb des mütterlichen Körpers fähig sind.
Der Transfer verläuft zunächst zu lymphatischen Organen, dann über den Blutkreislauf bis in die Plazenta und durch sie hindurch zum Fötus.
Untersuchungen an Mäusen deuten darauf hin, dass dieser Transport während der Schwangerschaft stark zunimmt.
Wahrscheinlich werden Menschen und andere Säugetierkinder so schon im Mutterleib auf das vorbereitet, was sie nach der Geburt erwartet.
Eine intensive Dusche mit Mikroorganismen erfolgt dann während der Passage durch den Geburtskanal. Hier bekommt das Baby eine probiotische Ganzkörperbehandlung mit den Mikroorganismen der mütterlichen Vaginal- und Enddarmflora.
Später, mit jeder Berührung und vor allem während des Stillens an der Brust, gesellen sich die Hautbakterien der Mutter dazu, zusätzlich die Bakterien des Mundes, die bei jedem Kuss und bei Tieren durch liebevolles Belecken der Tierbabys übertragen werden.
Die Muttermilch, die man früher ebenfalls auch für steril hielt, übernimmt einen weiteren Anteil. Man weiß heute, dass sie das Baby mit bis zu 600 Bakterienarten versorgt, die kurz nach der Geburt von Milchsäurebakterien, sechs Monate später aber von Arten der Mund- und Darmflora dominiert werden.
Die Mutter liefert also nicht nur eine vorläufige Grundausstattung von Mikroorganismen für die Darmflora des Kindes, sondern bereitet das menschliche Baby ein halbes Jahr später auch auf die feste Nahrung vor, die es bald zu sich nehmen wird.
Neben Fetten und Milchzucker besteht die drittgrößte Fraktion der Muttermilch aus Zutaten, die der Säugling gar nicht verwerten kann.
Es handelt sich um sogenannte „Oligosaccharide“, über 200 verschiedene kurzkettige Kohlenhydrate, die dazu dienen, bestimmte Mikroorganismen im Darm anzusiedeln und andere fernzuhalten.
Babys, die mit der Flasche aufgezogen werden, müssen ohne diese Unterstützung auskommen.
Zwar versucht die Industrie, ihrer Ersatznahrung einige Oligosaccharide beizumischen, aber die zum Teil komplexen Verbindungen, die die Forscher zur Zeit in der Muttermilch vorgefunden haben, sind nur mit sehr großem Aufwand herstellbar, was der Muttermilch gleichwertige Produkte unerschwinglich teuer machen würde.
Angesichts der neuen Forschungserkenntnisse ist es unverantwortlich, dass einige große Unternehmen ihre Muttermilchersatz-Produkte als der Muttermilch gleichwertig oder sogar überlegen anpreisen und selbst Mütter aus Entwicklungsländern mit schlechter medizinischer Versorgung dazu bringen, auf das Stillen ihrer Säuglinge zu verzichten.
Die Ausreifung des Mikrobioms dauert bei Kindern etwa drei Jahre. Dann hat es seine individuelle Gestalt angenommen.
Bei Tieren ist der Zeitraum je nach Tierart kürzer oder länger.
Für das Kind und seine Mikroorganismen sind es drei entscheidende Jahre.
Werden in den ersten Lebensmonaten nicht die Grundlagen für ein gesundes Miteinander von Wirt und Mikroorganismen gelegt, drohen unter Umständen lebenslange Konsequenzen.
Es erscheint überfällig und dringend angeraten, dass die Bedeutung der Mikroorganismenübertragung bei der Entscheidung für oder gegen eine natürliche Geburt sowie für Muttermilch oder Ersatznahrung größere Berücksichtigung findet.
Der Mensch sowie alle Tiere und auch Pflanzen sind Holobionten. Wesen, die sich aus einem gestaltgebenden großen und vielen sehr kleinen Organismen zusammensetzen.
Es ist höchste Zeit, dieses nicht ganz neu gewonnene Wissen in medizinische Praxis umzusetzen.